Madame Duprais

Schwer schoben sich die Vorhänge zur Seite.Madame Duprais Ein zarter Sonnenstrahl durchbrach die Dunkelheit. Staub tänzelte in zahlreicher Vielfalt durch die Luft. Sie schloss die Augen, legte den Kopf in den Nacken und genoss die Vorstellung, wie jede einzelne dieser Flocken ihre Haut berührte und pudergleich bedeckte. Sie formten Rosetten und Blüten. Schon bald glich ihr Gesicht einem anmutigen Gemälde. Jäh wurden ihre Träumereien unterbrochen. Die Kutsche war vorgefahren. Sie begann zu frösteln. Matthies würde unverzüglich das Kaminfeuer entfachen müssen. Als Hausdame war ihr das gesamte Personal im Schloss unterstellt. Es war nicht leicht, dieser Aufgabe gerecht zu werden. Allein ihrer strengen, unnachgiebigen Führung war es zu verdanken, dass das Haus in einem tadellosen Zustand war. Einzig Margreth, die Köchin, widersetzte sich mitunter ihren Anordnungen.

Die Glocke läutete.
Antonette Duprais ließ ihre Augen durch das Zimmer schweifen. Ihr Blick blieb auf dem ledergebundenen Büchlein haften, dass auf ihrem Schreibtisch lag. Schnellen Schrittes durchquerte sie das Zimmer. Hastig nahm sie das abschabte Leder in die Hand. Die Gebrauchsspuren waren deutlich zu erkennen. An einigen Stellen lösten sich die Nähte. Ihre knochigen Finger umschlossen die kalten Schriften. Zeugnis unzähliger Stunden durchwachter Nächte. Sie roch daran. Der vertraute Geruch trieb ihr die Tränen in die Augen.  Ihr Vater, Sattler am Hofe der Mauvins, hatte es ihr geschenkt, als sie noch ein kleines Mädchen war. Als Jüngste der elf Geschwister hatte sie wenig Beachtung gefunden. Der Vater arbeitete hart und schwer, um der Familie das Überleben zu sichern. Ihr Lieblingsplatz war der Scheunenboden. Von dort sah sie ihrem Vater in der Ausübung seines Handwerkes zu. Von jeher war sie sein Sorgenkind, so zart und in sich gekehrt, wortkarg und verschlossen. Die seltenen Momente, in denen er ihr ein Lächeln entlocken konnte, verzauberten jedoch sein Herz. Er wusste, dass sie sich selber das Schreiben beibrachte. Mit einem kleinen Holzstock zeichnete sie die Schriftzeichen der Bibel im staubigen Boden nach. An ihrem neunten Geburtstag schenkte er ihr ein kleines handgefertigtes Büchlein, Feder und Tinte bevor die Schwindsucht sein Leben beendete. Der Dorfpfarrer nahm sich des Mädchens an und machte sich ihre Schreibkunst zunutze. Als Dank erzog er das zarte Geschöpf zu Anstand und Manieren und ebnete ihr so den Weg zur Anstellung im Schloss.

Sie schlug die erste Seite auf.
„…..und wäre der Himmel mein Zuhause, so zierten mich Flügel, das Herz voll göttlicher Liebe, heilbringend in menschlicher Gestalt….“ Wiederholt läutete die Glocke. Antonette du Duprais straffte die Schultern, legte das Buch in die Schatulle und verschloss diese in der schweren Eichentruhe. Mit eisiger Miene lief sie auf die Türe zu. Energisch drückte sie die Klinke herunter und trat in den Korridor. Hektisches Treiben umfing sie. Das Personal scheuchte aufgebracht hin und her. Sie trat an die breite Treppe und blickte hinunter in die Halle. Dass die Herrschaften sich nach all den Jahren wieder ein Kind ins Haus holten. Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen. Kalt drosch ihre Stimme durch die alten Gemäuer:
„Sind Silberleuchter und Besteck poliert…“

 

(Verfasserin: Michaela Rückert)