Schwester Mary

Schwester MaryEs war ein langer, kalter und sehr verregneter Winter gewesen, so typisch für England. Nun endlich hatte sich die Sonne wieder zwischen den Wolken hervorgetraut. Daher war es auch kaum verwunderlich, dass die Kinder sich nach dem Schulunterricht geschlossen auf den Hof begeben hatten und nun ausgelassen spielten und tobten.

Mary hatte sich in einen dicken Mantel gehüllt, auf die Terasse gesetzt und beobachtete das Treiben. Neben sich hatte sie ein Buch liegen, aber momentan verspürte sie kein Interesse daran. Sie liebte es, den Kindern beim Spielen zuzuschauen. Sie liebte diese Kinder, als wären sie ihre eigenen. Immer schon hatte sie sich Kinder gewünscht, schon als kleines Mädchen hatte sie gewusst, dass sie viele, viele Kinder wollen würde. Aber kein Mann hatte ihr gefallen. Und dann schließlich war der liebe Gott dazwischen gekommen.

Es war ein sonniger Frühlingstag gewesen, ähnlich wie heute. Sie war noch ein junges Mädchen gewesen, kaum volljährig. Wie jeden Sonntag hatte sie mit ihrer Familie den Sonntagsgottesdienst besucht und an diesem besonderen Tag war es geschehen. Die Sonne hatte warm und leuchtend durch die roten Kirchenfenster geschienen, ein Lichtstrahl direkt auf das Kruzifix über den Altar gerichtet, und in diesem Moment hatte sie es gewusst: Dies war ihr Schicksal. Diesem Herrn würde sie ihr Leben widmen.

Ihr Umfeld reagierte mit Unverständnis. Ihre Mutter weinte nächtelang ihren verlorenen Enkelkindern hinterher und ihr Vater sprach nur noch das Nötigste mit ihr. Aber Mary ließ sich nicht beirren. Gott hatte sie berufen und wer wäre sie, ihm nicht zu folgen? Sie glaubte daran, nein, sie wusste, dass der Herr alles irgendwie fügen würde. Voll Vertrauen hatte sie ihr Gelübde abgelegt.

Lily Clé trat in diesem Moment heraus auf den Hof. Ihr Haar leuchtete so rot im Sonnenlicht, wie damals die Kirchenfenster am Tag von Marys Berufung. Dieses Mädchen war etwas Besonderes. Mary hatte es immer schon gewusst. Sie besaß eine Ernsthaftigkeit, die ungewöhnlich für ein 14jähriges Mädchen war. Und wann immer sie sprach, lauschten die anderen Kinder ihr gebannt. Sie würde es zu etwas Großem bringen, da war Mary sich sicher.

Während sie so in der Nachmittagssonne saß und die Kinder, ihre Kinder auf dem Hof betrachtete, wurde ihr wieder einmal bewusst, dass alles, was sie sich für ihr Leben gewünscht hatte, eingetroffen war. Sie hatte den lieben Gott und so viele Kinder um sich, sie war eine Mutter für sie alle.

Und sie liebte es. Sie liebte, was sie tat.

 

Verfasserin: Daniela Burggraf